Wenn man nach „guilty pleasure“ googeln würde, würde man die Definition von „guilty pleasure“ finden. Was man (noch) nicht dabei findet, ist der Begriff „American Horror Story“. Die Serie, von der ich bis vor mehreren Wochen überhaupt noch nichts gehört habe, hat mich, besonders in der 2012 angelaufenen 2. Staffel, direkt ins Mark getroffen. Deshalb, weil ich bis dahin noch nie etwas Ähnliches gesehen habe. Deshalb, weil ich extremst selten so viel Spaß hatte eine Serie zu schauen. Deshalb, weil Geister Weihnachten feiern und Serienmörder an Brüsten nuckeln wollen. „American Horror Story“ bietet weder gute schauspielerische Leistungen (Palette geht von unterirdisch bis „wieso-bin-ich-eigentlich-hier“) noch spannende Charaktere („flach wie ein Nichtschwimmerbecken“). Eine zusammenhängende Story ist nicht vorhanden. Den Einsatz von Musik kann man bestenfalls als „gut gemeint“ bezeichnen. Keine guten Vorzeichen für eine DER Serien dieses Jahres. Wie zum Teufel kann sich so eine Serie retten? Die Antwort ist: gar nicht.
Die Serie ist schlecht, in der klassischen, durch HBO und AMC beeinflussten und definierten Fernsehlandschaft 2012. Es ist absolut unmöglich sie nach normalen Kriterien zu beurteilen. Frech entzieht sie sich jeglicher negativer Kritik indem sie alles, aber auch wirklich alles, falsch macht was man heutzutage falsch machen kann. In einer Fernsehlandschaft in der es um Charakterentwicklung, dramatische Dialoge und eine aus allen Poren atmende, organische Story geht, nimmt die Serie bzw. der Serienschöpfer Ryan Murphy (Glee, Nip/Tuck) einen riesigen Dildo und schlägt allen Serienschöpfern und Kritikern damit ins Gesicht. Während andere versuchen Kohärenz und Konsistenz aufzubauen, schmeißt „American Horror Story“ alles in den Topf, ohne auf irgendwelche Rezepte zu achten. Um bei der kulinarischen Analogie zu bleiben: das Gericht, dass am Ende herauskommt wird vielen den Magen verderben. Es ist ein perverser, teilweise menschenverachtender, Eintopf aus Horror, Thriller, Liebesgeschichte und Science-Fiction. Die jeweiligen Genre-Versatzstücke sind sehr grob geschnitten, und umgerührt wurde auch nicht richtig. Trotzdem muss ich (leider?) zugeben, dass mir diese Serie unglaublich gut schmeckt. Gerade WENN man von Serien wie Boardwalk Empire und Breaking Bad verwöhnt wurde. „American Horror Story“ bricht mit vielen in den letzten 10-12 Jahren story- und charaktertechnischen Traditionen, von den dramaturgischen ganz zu schweigen. Das Erlebnis fühlt sich frisch an. Trashig, aber nie gewollt trashig. Man nimmt sich ernst, aber nie zu ernst.
Es gibt zudem einige objektive „redeeming“ Eigenschaften. Der Aufbau der Serie ist einzigartig (soweit ich weiß). „American Horror Story“ ist eine Anthology-Serie, d.h. jede Staffel ist in sich abgeschlossen. Die erste Staffel spielte in einem Geisterhaus in „unserer“ Zeit, die zweite in einer Anstalt für gefährliche Geisteskranke im Jahr 1964. Zudem tauchen Schauspieler in der 2. Staffel auf, die auch in der 1. da waren, aber als andere Charaktere. Die Regiearbeit, besonders in der 2. Staffel, ist auch zu loben. Auch wenn sie nicht durchweg qualitativ hochwertig ist, bleibt sie immer über dem Durchschnitt, mit vielen Spitzen nach oben. Letztlich muss der Humor herausgestellt werden. Ich habe noch nie bei einer Drama-Serie öfters gelacht als bei „American Horror Story“. Viele dieser Lacher sind unfreiwillig komisch, z.B. wenn bei bestimmten Archetypen in die Klischeekiste gegriffen wird (Serienmörder mit _extremsten_ Mutterkomplexen). Bei anderen Szenen ist es schwer zu sagen, ob sie von den Writern gewollt humoristisch dargestellt werden sollten oder nicht (ein Nazi-Kriegsverbrecher wird neckisch getätschelt). Dann gibt es natürlich auch noch die aberwitzigen Wortgefechte zwischen den Charakteren, die zwar jegliche Dramatik in dem Augenblick zerstören, jedoch einfach viel zu unterhaltsam sind, als dass man sich wirklich daran stört.
Man muss eine gewisse Trash-Resistenz mitbringen um „American Horror Story“ gut zu finden. Man muss vieles vergessen oder zumindest zeitweise verdrängen um die Serie wirklich genießen zu können. Wer mit einer gewissen Ernsthaftigkeit an dieses Werk tritt hat schon verloren. Das Gehirn abschalten darf man aber keinesfalls, denn so würde einem viele Szenen und Dialoge schlichtweg verloren gehen, und damit auch eine Serie, die es definitiv wert ist geschaut, verfolgt, geliebt und gehasst zu werden. Die 2. Staffel befindet sich momentan im Hiatus und geht im Januar mit den letzten vier Folgen zu Ende. Es bleibt also genügend Zeit bis dahin die erste, schlechtere, und zweite, bessere, Staffel aufzuholen. Auf, auf, ihr kleinen Nazi-Kriegsverbrecher!